Im Leben mancher Künstlerinnen und Künstler fügt sich alles optimal zusammen: Sie haben hervorragende Mentoren, bekommen lukrative Aufträge von bedeutenden Mäzenen, können über viele Jahrzehnte produktiv arbeiten und nach zeitgenössischen wie auch modernen Standards großartige Werke schaffen. Und doch bleiben sie der Nachwelt weitgehend unbekannt. Sie haben einfach Pech: Ihre Werke werden zerstört, verschwinden oder lassen sich irgendwann nicht mehr ihrem Schöpfer zuordnen.
Ein solcher Künstler war Adam Offinger, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und damit in der Zeit des Umbruchs zwischen Reformation und Bauernkrieg auf der einen und Dreißigjährigem Krieg auf der anderen Seite hier in unserer Region tätig war. Als Haus- und Hofmaler des Bischofs von Halberstadt und Herzogs von Braunschweig, Heinrich Julius, war er von den 1570ern bis 1600 nicht nur für die Ausstattung von Kirchen und Kapellen zuständig, sondern wurde auch von zahlreichen Adligen beauftragt, sie selbst oder ihre Familien zu portraitieren. In die Lehre war er vermutlich bei einem der ganz Großen gegangen: Lucas Cranach dem Jüngeren. Einem ebenso Großen wollte er künstlerisch nachfolgen: Albrecht Dürer, mit dessen Werken er als Kopist seine Künstlerlaufbahn begann und an dessen weltbekanntes “A.D.”-Signet er sein “A.O.”-Signet anlehnte. Für die neuen protestantischen Machthaber seiner Zeit schafft Offinger kämpferische Bilder: Die Reformatoren Martin Luther und Justus Jonas, Seite an Seite mit Christus und den Jüngern am Tisch des Letzten Abendmahls. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere darf er die private Kapelle des Bischofs auf Schloss Gröningen bei Halberstadt ausstatten und gestaltet dabei Gemälde, die später unter Kunstexperten des 19. Jahrhunderts als „herrlich“, „meisterhaft“ und Beispiele „blühender Malerkunst“ gelten sollten.
Beste Voraussetzungen, um zumindest in das kleine Pantheon regional bedeutender Künstler aufgenommen zu werden. Aber das Schicksal wollte es anders: Kaum mehr als zwei Dutzend Werke Offingers sind heute noch ihm zugeordnet und öffentlich zugänglich. Das vermutlich größte, das im Jahr 1598 kurz vor seinem Tod als letztes Meisterstück entstand, befindet sich in der Wernigeröder Christuskirche. Jeder, der unsere kleine Kirche kennt, hat es schon gesehen, möglicherweise aber nicht wirklich wahrgenommen. Es handelt sich um eine Darstellung der Kreuzigung (Öl auf Holz), die an der Wand des Südschiffs hängt, viel zu hoch und schlecht ausgeleuchtet. Fast 170 Jahre Kerzenbeleuchtung und tausende Brockenfahrten der benachbarten Harzer Schmalspurbahn haben für eine Schmutzschicht gesorgt, welche die einst als „leuchtend hell“ beschriebenen Farben allmählich verblassen ließen. Nur wenn man ganz nah herantritt und unter dem Gemälde nach oben schaut, wird einem bewusst, dass man auf ein fein ausgearbeitetes Monumentalgemälde der Spätrenaissance blickt.

Der Weg dieses Gemäldes nach Hasserode ist ein kleiner Krimi. Die Kreuzigungstafel entstand im Jahr 1598 als Altarbild für die private Kapelle der Halberstädter Bischöfe in deren Amtssitz auf Schloss Gröningen. Nachdem dieses in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges beschädigt wurde, später leer stand und zunehmend verfiel, wurde es 1817 partiell abgerissen. Dieser Abriss war auch das Ende der der Heiligen Barbara gewidmeten Kapelle und etlicher Kunstwerke Offingers. Das große Altarbild wurde noch in den Keller der Klostergröninger Kirche gerettet, wo es jahrzehntelang unter ungünstigen Bedingungen lagerte und heute vermutlich nicht mehr restaurierbar wäre, wäre es nicht zufällig einem Halberstädter Bauinspektor namens Blumenthal aufgefallen. Als in den 1840ern die Konkordienkirche in Hasserode erbaut wurde, schlug eben jener Blumenthal vor, die Holztafel aus dem Keller zu retten, zu restaurieren und als Altarbild der neuen Kirche zu verwenden. Das Bild wurde daraufhin in der schon damals bekannten Berliner Akademie der Künste überarbeitet und neu gerahmt und später erneut von einem Wernigeröder Maler namens Friedrich Keyer bearbeitet. Als die Konkordienkirche 1847 eingeweiht wurde, hatte sie dank Blumenthal ein prächtiges Altarbild, das 1909 dann mit in die Christuskirche umzog und dort heute (leider) weniger prominent an der Seitenwand hängt.
Der Geschichte sowohl dieses Malers als auch dieses Gemäldes wird sich in den kommenden Jahren ein kleines Projekt der Gemeinde widmen, für das momentan nach Fördergeldern und Unterstützung gesucht wird. Unter anderem wollen wir den Spuren des Malers und des Gemäldes in Kunstbüchern aus dem 18. und 19. Jahrhundert nachgehen, weitere bekannte Werke Offingers besuchen und dokumentieren – etwa das Abendmahlsgemälde mit Luther, das ausgerechnet in einer anderen Christuskirche (in Ampfurth) hängt – und dafür Sorge tragen, dass dieser für unsere Region und viele unserer Kirchgebäude wichtige Künstler nicht weiter in Vergessenheit gerät.
Der erste Schritt auf diesem langen Weg ist ein kleiner: In den nächsten Wochen soll erst einmal der noch bis vor kurzem äußerst dünne Wikipedia-Artikel zu Offingers Leben und Wirken um Inhalte, Fotos und historische Quellen erweitert werden. Wer Interesse daran hat, sich am größeren „Offinger-Projekt“ zu beteiligen (das aber erst mit und nach einer Förderzusage begonnen werden kann), kann sich jederzeit gerne per E‑Mail bei Christian Reinboth (christian.reinboth@gmx.de) melden.
Text und Foto: Christian Reinboth | Scan aus: Bergner, Heinrich; Jacobs, Eduard (1913): Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Grafschaft Wernigerode. Halle a.d.S., Verlagshaus Hendel. (gemeinfrei)
-> Download des Vortrags über Adam Offinger zum Gemeindenachmittag am 11.06.2025