Der Taufstein

Aus der Perspek­tive des Gottes­di­en­st­be­suchers betra­chtet, findet sich der Tauf­stein der Chris­tuskirche links­seitig des kuppelför­migen Altar­raums. Obwohl optisch unscheinbar und durch die Gestal­tung des Kirchen­raumes nicht gerade in den Vorder­grund gerückt, gehört der Tauf­stein zu den soge­nan­nten Prinzi­pal­stücken oder auch Prinzi­palien — also den “ersten” (prin­ceps), den wichtig­sten Einrich­tungs­ge­gen­ständen der Kirche. In jeder evan­ge­lis­chen Kirche gibt es drei solcher Prinzi­pal­stücke — neben dem Tauf­stein sind dies noch die Kanzel und der Altar. Der Tauf­stein ist damit das einzige Prinzi­pal­stück, das nicht in jeden Gottes­di­enst einge­bunden ist.

Dass der Tauf­stein acht Ecken hat, kann man leicht übersehen oder für eine willkür­liche Entschei­dung des Stein­metz halten, tatsäch­lich sind aber die meisten Tauf­becken in europäis­chen Kirchen entweder rund oder achteckig. Da Jesus am Tag nach dem Sabbat — dem siebten Tag der Woche — aufer­steht, symbol­isiert der achte Tag und damit auch die Acht den Beginn der neuen Schöp­fung. Nicht nur viele Tauf­becken, sondern auch Taufkapellen und Begräb­niskirchen haben daher acht Ecken, auch findet sich die Acht häufig in anderen Orna­menten im Kirchen­raum (etwa in Sternen oder Blüten) wieder. Eine eigens für diesen Artikel angelegte Euro­peana-Galerie zeigt viele weitere Beispiele achteck­iger Tauf­steine aus Kirchen in ganz Europa.

Hinter dem Tauf­stein, der noch aus der zweiten Konko­r­di­enkirche (errichtet 1847, heute Gemein­dekita) stammt, findet sich eine prachtvoll orna­men­tierte Wandze­ich­nung, die auf eine der bekan­ntesten Erzäh­lungen des Neuen Testa­ments verweist, in der Kinder eine zentrale Rolle spielen. Wir finden sie bei Markus (10, 13–16) und Matthäus (19, 13–15): Einige Eltern wollen ihre Kinder von Jesus segnen lassen, werden jedoch von den Jüngern weggeschickt, die eine Störung ihres Meis­ters vermeiden wollen. Dieser weist seine Anhänger jedoch zurecht (“Lasset die Kindlein zu mir kommen!” — als Vers immer wieder auf Tauf­schalen und Tauf­steinen zu finden) und widmet sich demon­strativ den Kindern. Die Erzäh­lung wird vielfach so inter­pretiert, dass gerade auch Kindern ein Platz in der Gemeinde zusteht, weshalb sie in beson­derer Weise mit dem Tauffest als dem Zeit­punkt der Aufnahme in die Gemeinde verbunden ist.

Einige Eltern brachten ihre Kinder zu Jesus, damit er ihnen die Hände auflegte. Aber die Jünger fuhren sie an und wollten sie wegschicken. Als Jesus das merkte, war er empört: »Lasst die Kinder zu mir kommen und haltet sie nicht zurück, denn Menschen wie ihnen gehört Gottes Reich. Ich versichere euch: Wer sich Gottes Reich nicht wie ein Kind schenken lässt, der wird ganz sicher nicht hineinkommen.« Dann nahm er die Kinder in seine Arme, legte ihnen die Hände auf und segnete sie.

Markus 10, 13–16 (Hoff­nung für alle)

Dargestellt hat diese Szene unter anderem Lucas Cranach der Ältere (1472–1553), hier zu sehen auf einem Gemälde in der Samm­lung Würth. Links im Bild erkennen wir die wütenden Jünger, allen voran Petrus, die nach wie vor mit Ärgernis auf diese Segnung schauen. Eine zusät­zliche Einord­nung erfolgt durch den Bibelvers in der lutherischen Über­set­zung (“Lasset die Kindlein zu mir kommen und veret inen nicht den solcher ist das Himmel­reich.”) am oberen Bildrand. Für den heutigen Betra­chter auffal­lend ist, dass Cranach die Kinder als Säuglinge und damit deut­lich jünger darstellt, als dies in zeit­genös­sis­chen Illus­tra­tionen dieser Szene der Fall ist, die meist Kinder in einem schon verständigen Alter im Gespräch mit Jesus zeigen.

Herkunft/Rechte: Samm­lung Würth / Ivan Baschang, München/Paris (CC BY-NC-SA)

Über dem Bibelvers findet sich die Darstel­lung einer mitte­lal­ter­lich und zugleich orien­tal­isch anmu­tenden Stadtkulisse mit zinnen­be­wehrten Türmen und kuppelför­migen Dächern. Hierbei könnte es sich um das “Himm­lische Jerusalem” handeln, das der Offen­barung entstam­mende Bild eines “neuen Jerusalems”, das am Ende aller Tage als Heim­statt für Gottes Volk errichtet wird. So zeigt beispiel­sweise auch das Giebel­re­lief am Dom zu Ribe die von mitte­lal­ter­lichen Christinnen und Christen sehn­lichst erwartete “Civitas Hier­salem” (siehe mittige Inschrift).

[Chris­tian Reinboth]

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